Das Bauhaus denkt europäisch

Das Bauhaus steht nicht nur für Architektur und Kunsthandwerk, auch die Grafik hatte in Weimar eine eigene Werkstatt. Ihr Leiter, Lyonel Feininger, initiierte gemeinsam mit Bauhaus-Direktor Walter Gropius ein ganz ungewöhnliches Projekt, indem nur wenige Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges Künstler aus ganz Europa zu Mitarbeit und Unterstützung aufgefordert wurden.

In einem Werbeprospekt vom Herbst 1921 wurde die Mappenfolge „Neue Europäische Graphik“ folgendermaßen angekündigt: „Zum erstenmal bieten wir dem Sammler die sonst durch die wirtschaftlichen Verhältnisse ausgeschlossene Möglichkeit, eine internationale Sammlung graphischer Werke grundlegender Wichtigkeit, in welcher Deutschland, Frankreich, Holland, Italien, Rußland durch ihre bedeutendsten Künstler vertreten sind, zu erwerben.“ Es folgte eine Liste mit 75 Künstlernamen, darunter auch Georges Braque und Pablo Picasso. Die Künstler waren dazu aufgerufen, dem Bauhaus eine noch unveröffentlichte grafische Arbeit zu schenken. Im Anschluss an die beachtliche Zusammenstellung von Vertretern der modernen Form hieß es: „Fast alle Künstler, darunter die bedeutendsten Namen, haben ihre Zusage gegeben oder bereits ihr Beitragswerk zum Druck übersandt.“

Erklärtes Ziel des ambitionierten Unterfangens war es, das Weimarer Bauhaus im Ausland bekannter zu machen und durch den Verkauf der Mappen den engen Finanzrahmen zu erweitern. Neben den klingenden Künstlernamen sollte die hochwertige Fertigung und luxuriöse Ausstattung zum Kauf animieren. Feininger gestaltete das Titelblatt, Inhaltsverzeichnis sowie den Druckvermerk und war für die Papierauswahl verantwortlich. Den Druck der Arbeiten übernahm Karl Zaubitzer, der technische Leiter der Druckwerkstatt am Bauhaus. Otto Dorfner, der technische Leiter der Buchbinderei, fertigte in der hauseigenen Buchbinderei die aufwändigen Mappeneinbände, die mit Kalbspergament und künstlerisch gestaltetem Überzugspapier bespannt wurden. Käuflich zu erwerben waren pro Mappe zehn Exemplare der Vorzugsausgabe in Ganzpergament für 5000 Mark und 100 der Normalausgabe für jeweils 2200 Mark.

In der ersten Mappe, die 1921 erschien, waren die Bauhaus-Meister mit jeweils zwei Grafiken versammelt. Laut dem ursprünglichen Plan sollte im Anschluss eine Mappe mit Künstlern der romanischen Länder, Frankreich, Italien oder Spanien, herausgebracht werden. Allerdings zeichnete sich schon im Herbst 1921 ab, dass zu wenige „romanische“ Künstler Arbeiten einsandten. Im Jahr darauf forderte der für den Vertrieb zuständige Verlag Müller & Co. aus Potsdam, das Konzept der zweiten Mappe zu verändern, da die Kunden befürchteten, Mappe II würde nicht erscheinen.

Louis Marcoussis, Weiblicher Kopf (La belle Martiniquaise), 1912, Radierung, 28,7 x 22 cm, © Bauhaus Archiv Berlin

Damit das Projekt der Neuen Europäischen Graphik nicht scheiterte, ließ sich Gropius auf den Vorschlag des Verlegers ein. Er änderte die romanische Mappe in eine Mappe mit französischen Künstlern und veranlasste, dass die zweite internationale Mappe (Mappe IV) vorgezogen und vor Mappe II veröffentlicht wurde.

Ursprünglich sollte die vierte Mappe Künstlern slawischer Länder vorbehalten sein. Nach der Umstellung des Konzepts wurden hier jedoch italienische und russische Künstler vereint. Als die vierte Mappe mit elf Grafiken 1924 endlich herausgegeben wurde, waren Mappe III und V mit Arbeiten deutscher Künstler bereits erschienen. Ein Grund für die Verzögerung der vierten Mappe lässt sich am Inhaltsverzeichnis ablesen, das als zwölften Künstler Ardengo Soffici aufführt, der offenbar versäumt hatte, seine Arbeit einzusenden.

Als die frisch vereidigte rechtsnationale thüringische Landesregierung im September 1924 allen Meistern des Bauhauses kündigte, musste Gropius die unvollständige zweite Mappe aufgeben. Bekannt sind heute neben dem Mappenkarton vier Grafiken von Othon Coubine, Louis Marcoussis, Léopold Survage und Fernand Léger. Komplett liegt die Fragment gebliebene Mappe II allein dem Bauhaus-Archiv in Berlin vor.

Das Lindenau-Museum lädt noch bis 19. Mai 2019 ein, die gesamte Neue Europäische Graphik in der aktuellen Sonderausstellung zu bestaunen. Auch die Mappe II ist als Faksimile Teil der Schau und kann betrachtet sowie selbständig erkundet werden.

Laura Rosengarten

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