3D-Digitalisierung im großen Stil
Für das Digitalisierungsteam des Lindenau-Museums Altenburg stellte das Jahr 2023 eine besondere Wegmarke dar: Mit dem Gipsabguss der Athena Velletri wurde die höchste Kolossalstatue des Hauses vollumfänglich dreidimensional digitalisiert – in-house.
Der Gipsabguss der Athena Velletri (Inv. Nr.: A 66) befindet sich seit 1844 in der Sammlung des Lindenau-Museums und geht direkt auf einen Ankauf des Museumsgründers Bernhard August von Lindenau zurück. Er wurde von einer 1797 im italienischen Velletri gefundenen, römischen Marmorkopie einer hochantiken, griechischen Bronzestatue abgenommen, die womöglich der Bildhauer Polyklet vor etwa 2500 Jahren geschaffen hat. Der Abguss kam über französische Lande nach Altenburg. Da an der römischen Marmorstatue schon beim Fund die Arme fehlten, fehlen auch die wahrscheinlich nicht ergänzten Attribute, die sie einmal in der Hand gehalten haben könnte. In der nach oben gestreckten Hand sollte sie wohl eine mit der Spitze nach unten zeigende Lanze halten. In der anderen Hand hielt sie vermutlich eine kleine landende Siegesgöttin, auf die die Statue geschaut hat und die womöglich ein Hinweis auf den kurzen Frieden zwischen Athen und Sparta im Jahre 421 v. Chr. ist. Die marmorne Nachahmung war wohl farbig gefasst, Farbreste an den Augenpartien können als Indiz dafür gelten. Die Athena wurde schließlich nach Frankreich verkauft, wo sie noch heute im Louvre zu sehen ist und wo auch der im Lindenau-Museum befindliche Gipsabguss durch den Modelleuer der „École des beaux arts“, Francois-Henri Jaquet, entstanden ist.
Um den bedeutsamen und mit mehr als 3,30 Meter Höhe und 600 Kilogramm schweren, übermenschlich großen Gipsabguss, der heute im Atrium des Interims in der Kunstgasse 1 steht, vollständig fotografisch erfassen zu können, musste man aufgrund der sehr schwer zu erreichenden Oberkörper- und Kopf-Partie kreativ werden: Während die Bereiche bis zur ausgestreckten Hand noch unter Zuhilfenahme eines einfachen Stativs fotografiert werden konnten, wurde für die Bereiche ab der Hüfte aufwärts auf eine Kombination aus rollbarem Gerüst, Stativ und Software zurückgegriffen. So konnte der richtige Bildausschnitt gefunden und die Kamera fokussiert sowie ausgelöst werden.
Vom Sockel bis zur Helmspitze wurden über 2000 Einzelfotos geschossen, um anschließend mit Hilfe von einer fotogrammetrischen Software, die eine detaillierte Punktwolke berechnet, einen dreidimensionalen, „digitalen Zwilling“ der Statue zu erschaffen. Dieser sogenannte „Digitale Master“ gleicht dem Original fast bis auf die Textur des Original-Gipses.
Das digitale Referenzobjekt kann nun als eine dreidimensionale Objektdokumentation gelten, ähnlich den hochauflösenden Digitalisaten der bisher erfassten Gemälde, Zeichnungen und Grafiken aus dem Bestand des Lindenau-Museums. Außerdem kann man beliebig hochauflösende Renderings errechnen lassen - wie mit einer Kamera, nur aus allen erdenklichen Positionen und in allen möglichen Umgebungen und Beleuchtungsszenarien.
Das digitale Abbild kann aber auch vielseitig angepasst werden, um in anderen Zusammenhängen genutzt zu werden. Folglich wurden aus der Master-Datei bis heute mehrere Derivate entwickelt, die für jeweils andere Anwendungsszenarien angefertigt wurden: Eine niedriger aufgelöste, aber optisch kaum von der Master-Datei zu unterscheidende Datei erlaubt zum Beispiel eine Online-Präsentation oder Echtzeitanwendungen auf Smartphones oder PCs in der virtuellen oder augmentierten Realität. Eine andere Variante wurde nach einem historischen Fresko aus Italien farblich gefasst, um eine mögliche Art der früheren Bemalung des Originals zu rekonstruieren. Außerdem wurde ein Modell analog zu dem Gipsabguss in Einzelteile zerlegt und in einem 3D-Drucker in anschaulicher Größe materialisiert, um den studio-Kursbesuchenden die Möglichkeit zu geben, den Aufbau einer Gipsfigur am praktischen Beispiel erklären zu können.
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