Aus der Weihnachtsbäckerei? – Antike „Lebkuchenmänner“ in den Antikensammlungen des Lindenau-Museums

Wie aus der weihnachtlichen Backstube muten sie an – die kleinen Männchen, deren Körper scheinbar aus braunem Lebkuchenteig geformt sind: Die dicken Arme auf die Brust geknetet oder auch doppelhenkelförmig in die Seiten gestemmt, die Augen mittels Halmen kreisförmig gepunzt, Frisuren und Kleider durch Schnurabdrücke altertümlich verziert. Ohne Beine und Füße, dafür mit einem stämmigen Unterteil versehen. Im Boden ein Loch, um sie zur Zierde aufstellen zu können (Abb. 1). Doch was haben diese Figuren überhaupt in der Antikensammlung des Lindenau-Museums zu suchen?

Abb. 1 Früh-etruskische Figuren (?) aus den Antikensammlungen des Lindenau-Museums Altenburg, Foto: punctum/Esther Hoyer

Auf den ersten Blick – das Auge an der klassischen Kunst der Antike geübt – würdigt der Archäologe solch kuriose „Lebkuchenmänner“ aus Ton gering, weil er sie nicht einzuordnen weiß. Er hält sie für alles – nur nicht für antik. Und so lagerten die Figuren auch sechzig Jahre lang ungedeutet und unausgestellt im Depot des Museums. Zugehörig waren die Figuren der privaten Antikensammlung des Malers Horst de Marées (1896–1988). Andere Stücke dieser Sammlung waren viel leichter zu bestimmen. So handelt es sich größtenteils um Gefäßkeramik aus etruskischen Gräbern der nördlichen Toskana. Beschäftigt man sich näher mit der Geschichte und Archäologie der Etrusker, der ersten Hochkultur auf italischem Boden, fallen in der Frühzeit dieses bis heute faszinierenden antiken Volkes (8./7. Jahrhundert v. Chr.) figürliche Urnenaufsätze auf (Abb. 2), die schlagartig Assoziationen zu unseren Altenburger „Lebkuchenmännern“ wecken.

Abb. 2 Umzeichnung nach der Vaso Paolozzi im Museum Chiusi

Die um eine große Deckelfigur angeordneten kleineren Figuren stellen dabei vielleicht die den Toten beklagenden Angehörigen dar. Die den Leichenbrand enthaltenden Urnen zeigen auf der Schulter aus dem Ton der Keramik geformte Stifte, auf die die Figuren aufgesteckt wurden. Die bei den Altenburger Figuren festgestellten Löcher könnten also auf diese Funktion hinweisen. Figurenvasen dieses Typs sind aus dem Gebiet um Chiusi bekannt, das heute für seine etruskischen Funde der Früh- und Spätzeit berühmt ist.

Bereits im 19. Jahrhundert wurden solche Vasen nach den bekannten und den Namen ihrer Sammler tragenden Vasi Paolozzi und Gualandi gefälscht, um die Nachfrage nach solchen raren Stücken zu befriedigen.* Möglicherweise sind die Altenburger Figuren, deren Ähnlichkeit mit den figürlichen Aufsätzen der chiusinischen Urnen augenfällig ist, also Fälschungen des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich allerdings um eine archäologische Fundgattung, bei der es noch viel zu erforschen gibt, ja noch gar nicht geklärt ist, ob solche Figuren nicht sogar einzeln mit in das Grab gegeben wurden. Eine Thermolumineszenzanalyse, die feststellen kann, wann der Ton der Figuren zuletzt gebrannt worden ist, kann helfen, die Altenburger „Lebkuchenmänner“ künftig besser einzuordnen.

Abb. 3 Sich umarmendes Figurenpaar, womöglich eine Fälschung nach dem Deckel von Poggio Renzo, Foto: punctum/Esther Hoyer

Mag bei den beschriebenen Figuren noch ein Restzweifel bestehen, ob sie etruskische Vorbilder haben, so ist dies bei einer dritten Figur offensichtlich (Abb. 3). Das sich umarmende Paar erinnert stark an die Deckelfiguren einer villanovazeitlichen Urne der Nekropole von Poggio Renzo, die heute im Archäologischen Museum in Chiusi bewundert werden können (Abb. 4).

Abb. 4 Umzeichnung nach dem Urnendeckel der Nekropole von Poggio Renzo

Selbst wenn diese drei Figuren in Zukunft als Fälschungen entlarvt werden sollten, sind sie ein Gewinn für die Antikensammlungen, orientieren sie sich doch an bedeutenden Ausgrabungsfunden Mittelitaliens und zeichnen auch als Fälschung ein besonderes Bild der Antike. Vor allem geben sie uns einen prägnanten Eindruck von der prähistorischen Seite des spannenden Volkes der Etrusker.

* Siehe hierzu die Studie von Giulio Paolucci, Veri e falsi: i Vasi tipo Gualandi, Paolozzi, Coleman riconsiderati, in: Mediterranea XVIII, 2021, S. 595-604.

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