Die einzig revolutionäre Kraft
Die Kultur der 68er, die europäischen Krisen und die Kunst der Gegenwart
Seit einigen Tagen kann man unter dem Beuys-Zitat „Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kunst“ im Lindenau-Museum Altenburg eine Ausstellung besuchen, die sich mit revolutionärer Kunst in Deutschland und Europa beschäftigt. Ausgangspunkt ist die Novemberrevolution von 1918.
Ein Beitrag zur Blogparade #SalonEuropa des Museum Burg Posterstein.
Vor 100 Jahren schlossen sich viele Künstler, die traumatisiert aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrten, zu revolutionären Vereinigungen zusammen. Im Zuge der Novemberrevolution sollte mit künstlerischen Mitteln die Vision einer neuen Gesellschaft realisiert werden – jenseits von Militarismus, Nationalismus und Kapitalismus. In vielen anderen europäischen Ländern waren zeitgleich ähnliche Tendenzen zu beobachten.
Das Ende des Kaiserreiches im November 1918 barg für viele Menschen die Hoffnung eines fundamentalen Neubeginns. Binnen weniger Monate organisierten sich Künstler im Zeichen des internationalen Kommunismus, verbreiteten ihre Ideen über radikale Zeitschriften und sahen sich mit den russischen Künstlern im Bunde, die dort im Zuge der Oktoberrevolution eine Ästhetik der neuen Gesellschaft prägten. Das Selbstbewusstsein des Künstlers als eine revolutionäre Kraft war im 20. Jahrhundert nie so groß wie in diesem Moment. Ob am Bauhaus, bei den Sezessionsgruppen oder den Dadaisten – an der Kunst führte bei der „Schaffung des neuen Menschen“ kein Weg vorbei. So unterschiedlich agierende Künstler wie Conrad Felixmüller, George Grosz, John Heartfield und Otto Freundlich waren in der Idee der Kunst als utopischem Gegenentwurf zur Herrschaft des Materiellen vereint.
Fünfzig Jahre später gingen 1968 in 22 europäischen Ländern junge Menschen auf die Straße, um gegen den Vietnamkrieg, gegen die Diskriminierung von Minderheiten und die Macht der Großkonzerne zu protestieren. Sie forderten lautstark mehr Frauenrechte, einen politischen Bewusstseinswandel und individuelle Freiheiten ein. Sie stellten zugleich das alte Europa an den Pranger, das keinen Weg zu einer globalen Neuordnung fand, die allen Menschen die gleichen Rechte und Chancen einräumte.
Ein wichtiger Träger dieser Bewegung war die Kunst. Hier konnten neue Formen des Zusammenlebens spielerisch erprobt, Utopien formuliert und Zeitgeschichte kommentiert werden. Joseph Beuys dachte offensiv und hintergründig über Alternativen zum westlich-europäischen Gesellschaftsmodell nach, die Wiener Aktionisten trafen mit ihren Aktionen die wohlsituierte Bürgerlichkeit ins Mark und A. R. Penck pfiff mit seinen Katalogübermalungen auf die vermeintlichen Errungenschaften der europäischen Hochkultur. Im Lindenau-Museum sind neben den westdeutschen Protagonisten der „68er“-Bewegung auch Künstler aus der DDR zu sehen, denen Beuys mit seiner Idee vom künstlerisch tätigen Menschen als einer Veränderung stiftenden Kraft schlechthin wichtige Anregungen gab.
Subversive Formen des Widerstands in der Kunst führte der Schriftsteller und Maler Peter Weiss in Die Ästhetik des Widerstands in einer historischen Perspektive zusammen, die in der Ausstellung als monumentale Wandcollage auch bildlich über vielen Künstlern in Ost und West steht. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, wie der Geist der „68er“ auch von Künstlern in der DDR bis in die 1970er- und 1980er-Jahre weitergetragen wurde.
Ein dritter Raum führt dann in die Gegenwart, wo angesichts vielfältiger globaler Krisen Kunst erneut als Möglichkeitsform des Politischen entdeckt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei künstlerische Positionen zur Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Klaus Staeck interpretierte dabei Géricaults Floß der Medusa neu als Metapher des Menschen zweiter Klasse, für den in der „Festung Europa“ kein Platz sei. Der Fotokünstler Julian Röder zeigt eine Serie von Bildern, die während der IDEX in Abu Dhabi, der größten Waffenmesse im Nahen Osten, entstanden: Hier bieten europäische Firmen die neueste Palette von Räumpanzern an, die den „Arabischen Frühling“ schnell wieder erstarren ließen. Und das Zentrum für Politische Schönheit entwirft mit einer Fake-Aktion, bei der hunderte Rettungsinseln ins Mittelmeer gelassen wurden, um in einem humanitären Akt Bootsflüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, eine bewegende Utopie der Mitmenschlichkeit.
Diese subtilen wie doppelbödigen künstlerischen Aktionen reagieren auf die Überzeugung, dass unsere europäische Art des Lebens und des Wirtschaftens viel mit den miserablen Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt zu tun hat. Der Soziologe Stephan Lessenich führt den Begriff der „Externalisierungsgesellschaft“ ein, um zu zeigen, wie Europa systematisch Armut, Ungerechtigkeit, Kriege und Umweltzerstörung in andere Regionen auslagert. Anstatt immer wieder von durchaus gut gemeinten Möglichkeiten zur „Bekämpfung von Fluchtursachen“ zu sprechen, würde es schon ausreichen, wenn die Europäer aufhören würden, Fluchtursachen zu sein. So gesehen gibt die „Festung Europa“ vielen Künstlern heute Anlass zu kritischen Reflexionen und Raum, um ein ganz anderes Europa zu zeichnen, das den Menschen und nicht den Markt in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Die Krise ist eine Chance und wird von den Künstlern als solche begriffen. Denn, um es mit Klaus Staeck zu sagen: „Nichts ist erledigt!“ Und damit wird der Bogen geschlagen von der Gegenwart zu den revolutionären Künstlern von 1918 und 1968.
Benjamin Rux
Die einzig revolutionäre Kraft
Kunst und Revolution 1918 und 1968
20.9.2018 bis 13.1.2019
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