Frauen außer Rand und Band

Furchtlose Frauengestalten der griechischen Mythologie im Lindenau-Museum

Noch bis 1. Januar 2020 ist die Sonderausstellung „Mit den Waffen einer Frau. Furchtlose Frauengestalten der Antike“ im Lindenau-Museum zu sehen. Sie widmet sich den unkonventionellen Heroinen des mythologischen Universums der alten Griechen. Von zähen Amazonen über wilde Mänaden und rachsüchtige Gattinnen bis hin zur mysteriösen Magierin sind dabei verschiedene Konzepte der verhängnisvollen Frau vertreten.

Auch im Jahr 2019 ist der öffentliche Diskurs über Geschlechtergerechtigkeit noch nicht abgeschlossen. Gender pay gap und Alltagssexismus gehören immer noch zu den aktuellen Problemen der Gesellschaft. Grund genug, ein zweites Mal – 20 Jahre nach der Ausstellung „Zwischen Herd und Ekstase. Frauen im antiken Griechenland“ im Lindenau-Museum – den Blick in die Vergangenheit zu wagen und das weibliche Rollenbild genauer zu betrachten. Welche Funktion hatte die Frau in der antiken griechischen Gesellschaft? Welche Rechte und Pflichten? Gab es bereits Vorreiterinnen der Emanzipation?

Bei der Recherche ihrer Pflichten wird man schnell fündig. Was dagegen die Rechte und Emanzipationsvorreiterinnen betrifft, fällt die Suche mühsamer aus. Das Leben und der Wirkungskreis der durchschnittlichen Frau waren hauptsächlich auf den privaten häuslichen Bereich beschränkt. Zu ihren Aufgaben zählten die Besorgung des Haushalts und die Kinderbetreuung – beides ggf. mithilfe von Dienerinnen. Ihre Ehe wurde in der Regel von ihrem Vater, auch ohne ihre Zustimmung, arrangiert. Aus rechtlicher Sicht galten sie als unmündig und mussten sich vor Gericht von ihrem Ehemann oder Vater vertreten lassen. Unterricht im Lesen und Schreiben oder in sportlichen Disziplinen erhielten die wenigsten Frauen. Diese Umstände hinderten sie jedoch nicht daran, wichtige Aufgaben im religiösen Kontext (z. B. Fruchtbarkeitskulte) zu übernehmen und Priesterämter zu bekleiden. Bis auf wenige Ausnahmen blieb ihnen die Ausübung von Einfluss und Autorität allerdings verwehrt.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich kaum von Frauen geschaffene schriftliche oder materielle Zeugnisse erhalten haben – eine Tatsache, die die Erforschung der Situation der Frau im antiken Griechenland sehr erschwert.

Ermordung des Agamemnon, Fragment eines Terrakottareliefs, letztes Viertel des 7. Jh. v. Chr., Leihgabe des Martin von Wagner Museums der Universität Würzburg

Wenden wir uns nun der ebenfalls von Männern geschaffenen Mythenwelt zu, werden wir überraschend oft mit selbstbestimmten Frauen konfrontiert, die aktiv, offensiv und gar „männergleich“ handeln. Allen voran Klytaimnestra. Während der zehnjährigen Abwesenheit ihres Gatten Agamemnon, Herrscher von Mykene, lässt sie sich auf eine Beziehung mit Aigisthos ein. Gemeinsam hecken die beiden einen tückischen Plan aus, um Agamemnon bei seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg zu ermorden. Antike Darstellungen zeigen dabei häufig Klytaimnestra in der aktiven Rolle der Mordenden. Motive für ihre Tat gibt es viele: Nach dem Dichter Euripides tötet Agamemnon Klytaimnestras ersten Ehemann und Sohn. Ferner opfert er die gemeinsame Tochter Iphigenia, um günstigen Wind für die Überfahrt nach Troja von der Göttin Artemis zu erhalten. Dann kommt er auch noch mit einer Zweitfrau, nämlich der Seherin Kassandra, aus dem Krieg zurück. Zuletzt will Klytaimnestra gewiss ihre Stellung als Machthaberin halten. Weil sie mit ihrem Ehebruch die Erbfolge gefährdet, männergleich die Macht beansprucht und sich gegen ihren Gatten wendet, erscheint Klytaimnestra während der Antike und noch weit darüber hinaus als äußerst schlechte Frau. Erst mit der zunehmenden Gleichberechtigung der Geschlechter im Laufe des 20. Jh. setzt eine differenzierte Betrachtung der Figur zu Ungunsten Agamemnons ein.

Eine weitere berühmte unkonventionelle Frau ist die Zauberin Medea, die Enkelin des Sonnengottes Helios und Tochter des Königs von Kolchis. Sie verrät ihre Familie für die Liebe zu dem Argonautenanführer Jason. Mit ihren Kräften lässt sie Jasons Unternehmungen gelingen und tötet seinen Feind Pelias. Beide flüchten nach Korinth. Inzwischen mit Medea verheiratet, hintergeht Jason seine Ehefrau, indem er beabsichtigt, die Königstochter von Korinth zu heiraten, um seinen gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Aus Rache für diesen Verrat tötet Medea zunächst Königstochter samt König und schließlich die beiden gemeinsamen Kinder. Damit vernichtet sie Jason vollends.

Medea vor dem Kindermord, Farblithografie nach einer Zeichnung von Wilhelm Zahn aus „Die schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde von Pompeji, Herculaneum und Stabiae ...", 1859, Lindenau-Museum Altenburg

Bis heute ist Medea nicht nur Inbegriff der verhängnisvollen Frau, sondern auch eine Symbolfigur für weibliche Selbstbestimmtheit. Sie klagt die gesellschaftliche Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau an und handelt nach einem männlichen Wertesystem, das von Ehre und Anerkennung bestimmt wird.

 

Amazone Typus Mattei, Gipsabguss der römischen Marmorkopie eines griechischen Bronzeoriginals um 440/430 v. Chr., Lindenau-Museum Altenburg

Neben individuellen Figuren des griechischen Mythos gibt es auch ganze Gruppen von Frauen, die ein Gegenbild zur griechischen „Vorzeigefrau“ darstellen: Hier kommen uns sofort die Amazonen in den Sinn, das kriegerische Frauenvolk, das in einer fernen Region verortet wird. Sie führen ihre Staatsgeschäfte und Kriege völlig selbstständig, d. h. ohne Männer. Gleich in mehreren mythischen Episoden (z. B. der Trojanische Krieg) geraten sie mit den Griechen in Konflikt. Zahlreiche antike Keramikerzeugnisse und plastische Werke zeugen von der Beliebtheit der Darstellungen dieser Kampfszenen. Die Amazonen werden dabei ab dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr. durch persische, skythische oder thrakische Attribute zunehmend fremdländisch charakterisiert. Sie müssen also zum einen bekämpft werden, weil sie zu den feindlichen „Orientalen“ gehören und zum anderen, weil sie das gängige Geschlechterverhältnis infrage stellen. Dabei kommt es hin und wieder vor, dass sich ein Grieche in eine Amazone verliebt. Die Kriegerinnen gelten als schön, was sich in einer erotisierten Darstellungsweise – z. B. durch die entblößte Brust – äußert.

Angesichts dieser Frauengestalten stellt sich die Frage, warum solch emanzipierte, aus ihrer Zeit gefallene Figuren entworfen wurden. Sehnten sich vielleicht einige Dichter nach einer gleichberechtigten Frau? Dieser Gedanke muss höchstwahrscheinlich verworfen werden. Klytaimnestra wird von ihrem Sohn erschlagen, die heimatlose Medea hat – wenn auch selbstverschuldet – ihre Kinder verloren und die Amazonen werden von den Griechen besiegt. Die Geschichte der unangepassten Frauen geht selten gut aus, daher müssen sie wohl eher als negative Beispiele verstanden werden. Vermutlich sollten sie vor Augen führen, was unkontrollierte Frauen für Schaden bewirken konnten und dass die bestehende Geschlechterordnung unbedingt gewahrt werden muss. Hinter dieser Ambition stand womöglich die Sorge darüber, dass eben jene Geschlechterordnung nicht ewig währen könnte. Glücklicherweise ist diese Sorge nicht unbegründet gewesen.

Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg

 

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