"Liebe in Zeiten des Hasses" – Familie und Freunde im Werk des Künstlers Conrad Felixmüller (Part I/III)
Conrad Felixmüller wurde am 21. Mai 1897 als Felix Müller in Dresden geboren. Von 1911 bis 1912 bekam er Zeichenunterricht an der Vorschule der Königlichen Kunstgewerbeschule in Dresden, an der zu dieser Zeit auch Otto Dix (1891-1969) studierte. Gemeinsam mit Dix, Otto Griebel (1895-1972) und Lasar Segall (1891-1957) gründete er die Dresdner Sezession Gruppe 1919, die eine expressionistische und gesellschaftskritische Kunst vertrat. Felixmüller wandte sich nie gänzlich einer bestimmten Kunstrichtung wie etwa dem Dadaismus, dem abstrakten Expressionismus oder den Kubisten zu. Stattdessen trieb er all seine künstlerischen Ausdrucksformen auf den Höhepunkt und schuf eindringliche Bilder von Dichter- und Malerfreunden, Familienmitgliedern und befreundeten Arbeitern.
Während sich Kollegen wie Otto Dix oder George Grosz (1893-1959) den Menschen auf dem Kriegsfeld oder denen am Rande der Gesellschaft widmeten, den Krieg mit all seinen grausamen Facetten darstellten und die Auswirkungen auf die Gesellschaft im Bilde festhielten, fand Felixmüller die größte Freude und Halt darin, seine Familie und Freunde abzubilden. Wie ein Gegensatz zu allem, was die Nachkriegszeit an Elend, Armut und Not hervorbrachte, erzählen Felixmüllers Bilder vom Glück in der Familie und Zuhause sowie von der Sicherheit und Beschäftigung, die ihm Freunde zu geben vermochten.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war die vorherige Welt aus den Fugen geraten. Niemand konnte sich vor den Auswirkungen der Zeit schützen oder wegsehen: die Armen, die Kranken, die Arbeitslosen, Frauen ohne ihre im Krieg verwundeten oder gefallenen Männer, Kriegsversehrte und Prostituierte gehörten plötzlich zum öffentlichen Leben und waren im Stadtbild sichtbar. Während Grosz die Menschen entindividualisierte, kroch Otto Dix ihnen mit Stift und Pinsel förmlich unter die Haut, zeigte alles, was er wirklich sah – ungeschönt und direkt. Seine Mappe "Der Krieg", die er im Jahr 1924 veröffentlichte, ist ein Konvolut des Grauens: Tote auf dem Kriegsfeld, Massengräber, verwundete Menschen und Tiere, karges Land und leere Gesichter veranschaulichen nicht nur die Realitäten des Ersten Weltkrieges, sondern auch Dix´ Neugierde an den Abgründen der Menschheit.
Bei Felixmüller stellte sich eine davon abweichende künstlerische Richtung ein: Je mehr Unheil in der Welt passierte oder persönliche Schicksalsschläge den Künstler trafen, desto tiefer zog es ihn in die zeichnerische und malerische Auseinandersetzung mit der eigenen Familie oder häuslichen Alltagsszenen: hier war er sicher, hier fand er Halt und Liebe. Sein Stil war anfänglich noch stark durch die Künstlerinnen und Künstler der Brücke beeinflusst, die sich während Felixmüllers Studium bereits in der Auflösung befand. Formensprache und Farbgebung der Künstlervereinigung waren in den Werken von Felixmüller zu erkennen. Nach der Akademie wurde der Stil des Künstlers detailreicher und realistischer.
Die Grafik "Malerfamilie" entstand im Jahr 1920 – ein Jahr, das der Autor Wolfgang Martynkewicz als Nullpunkt des Sinns beschreibt. Der Friedensvertrag von Versailles trat in Kraft, die NSDAP wurde gegründet, Adolf Hitler präsentierte sein 25-Punkte-Programm, welches den Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus der Gesellschaft beinhaltete.
Im Westen brach der Ruhraufstand aus, die erste Internationale DADA-Messe fand in Berlin statt, der expressionistische Film "Das Cabinet des Dr. Caligari" wurde uraufgeführt. Der deutsche Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) sowie der deutsche Lyriker Paul Celan (1920-1970) wurden geboren, der italienische Maler Amedeo Modigliani (1884-1920) und der deutsche Bildhauer und Maler Max Klinger (1857-1920) starben. Ein Jahr zuvor wurde Käthe Kollwitz (1867-1945) als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen. Aus den Weltkriegstrümmern erhob sich eine vielfältige Kulturlandschaft während aufgrund von Armut und Arbeitslosigkeit Hungerrevolten und linke Aufstände entstanden.
Die Vorstellung von einer bürgerlichen Familie war durch den Ersten Weltkrieg und die Revolution 1918 sowie die damit einhergehenden Arbeiteraufstände, die das Ende der Monarchie einläuteten, erschüttert worden. Werte und Tabus, die sich in der wilhelminischen Gesellschaft durchgesetzt hatten, verloren ihre Gültigkeit. Der gesellschaftliche Wandel und die einsetzende Frauenemanzipation veränderten das traditionelle Verständnis der Rolle der Familie. Frau und Kinder waren für Felixmüller zeitlebens das wichtigste und häufigste Motiv.
Die Technik des Holzschnittes wurde von den Künstlerinnen und Künstlern der Brücke meisterlich beherrscht und im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Felixmüller verstand es, die Themen, die ihn umtrieben und berührten in Holz zu schneiden. Er schuf kantige Porträts, beherrscht von großen Augen, geraden Nasenrücken und deformierten Schädelformen. Im starken Kontrast zur festen Form drücken seine Figuren dennoch Bewegung und Harmonie aus. In einem schlichten Holzschnitt bildet der junge Felixmüller sich selbst, seine Frau und seinen erstgeborenen Sohn Lukas Felix Müller ab. Als Maler hält er die wichtigsten Utensilien – Palette und Pinsel – in den Händen. Als Vater stehen Frau und Kind an seiner Seite. Ein paar wenige Blätter vor einem angedeuteten Fenster im Hintergrund scheinen mit dem Kopf seiner Frau Londa zu verschmelzen. Die Verbindung aus Blatt und Kopf mutet so an, als würde Londa Felixmüller ihrem Mann die Stabilität und Kraft eines Baumes schenken.
Zugleich orientierte er sich motivisch an einer der ältesten Bildtraditionen: der heiligen Unterredung, in der Maria mit dem Jesuskind auf den Armen mit Johannes dem Täufer oder anderen wichtigen Heiligen in einen stillen Dialog tritt. Die bildliche Anlehnung an die heilige Unterhaltung bekräftigt, dass die Familie den höchsten Stellenwert und eine ehrwürdige Bedeutung für Felixmüller hatte. Kinder und Frau zeichnete, malte und druckte er in allen möglichen Alltags- und Lebenssituationen: beim Spielen, beim Flötenspiel, im Porträt, Londa beim Stillen, sich und seine Frau in Dresden und immer wieder Mutter und Kind.
Interessant ist die Perspektive, die Felixmüller den Betrachtenden gibt. Sie befinden sich mit dem Maler und seinen Motiven im selben Raum. Gleichzeitig bietet die Aussicht aus einem geöffneten Fenster den Blick des Malers auf seine Umgebung. Er lässt die Betrachtenden ganz nah an sich treten und lässt dabei nicht nur die Familie, sondern auch die Welt nicht aus den Augen. (Part I/III)
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