Neuland: Provenienzforschung in der Grafischen Sammlung

Seit 2018 wird am Lindenau-Museum Altenburg die Herkunft der Kunstwerke intensiv erforscht. In verschiedenen Projekten wurden seitdem Teile der Sammlung untersucht, Museumsgeschichte rekonstruiert, Ausstellungen, Publikationen und Schulprojekte zum Thema entwickelt. Ein Bestand ist davon bislang jedoch weitgehend unberührt geblieben: die Grafische Sammlung. Ursächlich hierfür ist neben der Größe – mit über 50.000 Einzelblättern und Mappenwerken handelt es sich um den weitaus umfangreichsten Sammlungsbereich des Lindenau-Museums – auch die schwierige Ausgangslage: Bis heute sind nicht alle Papierarbeiten digital erschlossen und wir müssen daher vor der eigentlichen Recherche „auf alt hergebrachte Weise“ die zahlreichen handschriftlichen Grafikinventare durchforsten und anhand des Zettelkataloges den Standort der zu untersuchenden Blätter ermitteln. Glücklicherweise wird aktuell im Rahmen des von der Beauftragten der Bundesregierung geförderten Projektes Lindenau21PLUS nicht nur die Provenienzforschung, sondern auch die Digitalisierung der Sammlung vorangetrieben, so dass in Zukunft mehr und mehr Bestände des Hauses auch digital erfasst sein werden.

Blick in die Grafische Sammlung, Lindenau-Museum Altenburg, 2019, Foto: punctum/Bertram Kober

Aller Anfang ist schwer…

Aber wo überhaupt beginnen? Am besten von vorn: 1934 schenkte der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Herman Anders Krüger dem Lindenau-Museum 440 Papierarbeiten des 15. bis 20. Jahrhunderts und legte damit den Grundstein für eine eigenständige grafische Sammlung am Haus. Ein bemerkenswerter Entschluss in einer finsteren Zeit: Bis ihn die Nationalsozialisten im September 1934 wegen mangelnder Kooperation aus dem Amt drängten, war Krüger Leiter der Thüringischen Landesbibliothek in Altenburg. Zur Schenkung entschloss er sich unmittelbar nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle und setzte der Feindseligkeit seiner politischen Widersacher damit bewusst einen selbstlosen Akt der Menschenfreundschaft entgegen.     

Ernst Liebermann, Herman Anders Krüger, 1910, Foto: Lindenau-Museum Altenburg

In der Folge gelangten weitere Grafiken durch Schenkungen und Ankäufe ins Haus, allerdings war der Zuwachs bis 1945 relativ gering, da für einen aktiven Sammlungsausbau die finanziellen wie personellen Ressourcen fehlten. Zu den wenigen Neuerwerbungen gehört die Mappe „Amor und Psyche“ von Max Klinger, die der damalige Museumsdirektor Heinrich Mock 1936 von dem Leipziger Arzt und Grafikfreund Felix Skutsch erwarb. Was im Briefwechsel zwischen Mock und Skutsch als scheinbar unverfängliche Transaktion daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Teil eines tragischen Schicksals: Skutsch und seine Familie wurden als Juden verfolgt, seine Kinder mussten ins Ausland fliehen, seine Ehefrau starb 1944 im KZ Theresienstadt. Mit Blick auf die schweren finanziellen und persönlichen Nöte, in die die Familie seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten ab 1933 geriet, wird der Verkauf heute als NS-verfolgungsbedingter Entzug bewertet. Vor dem Hintergrund der gewonnenen Rechercheergebnisse ist das Lindenau-Museum aktuell bemüht, mit den Erben in einen Austausch zu treten.

Felix Skutsch an Heinrich Mock, Leipzig, 18.4.1936, Landesarchiv Thüringen - Staatsarchiv Altenburg

Ordnung im Blätterwald

Eine systematische Erweiterung der Grafischen Sammlung begann erst, nachdem Hanns-Conon von der Gabelentz 1951 zum hauptamtlichen Direktor des Lindenau-Museums ernannt worden war. Im darauffolgenden Jahr wurde Helmut Scherf als wissenschaftlicher Assistent eingestellt und war als solcher vor allem für die Grafische Sammlung zuständig. Dass nun ein neuer Wind wehte, bezeugt das Vorhandensein einer wichtigen Quelle: Erstmals wurde nun ein Eingangsbuch geführt, in dem jedes Kunstwerk verzeichnet ist, das zwischen 1951 und 1961 ins Haus gelangte. Das Eingangsbuch ermöglicht uns, den Sammlungszuwachs im Untersuchungszeitraum sowohl quantitativ als auch qualitativ zu beurteilen. Durch das Hinzuziehen der Korrespondenzen in den Ankaufsordnern wird zudem nachvollziehbar, über welche Zulieferer und Händler Grafiken nach Altenburg kamen.

Eingangsbuch 1951–1961, Lindenau-Museum Altenburg, Archiv, Foto: Lindenau-Museum Altenburg

Auf diese Weise lässt sich ein genaueres Bild vom Sammlungskonzept Hanns-Conon von der Gabelentzʾ gewinnen. Da der Erwerb von Gemälden und Plastiken viel kostspieliger war als der von Arbeiten auf Papier, fielen bei Neuzugängen in diesen Bereichen finanzielle Zwänge stärker ins Gewicht. Bei Grafik, insbesondere Druckgrafik, konnten Gabelentz und Scherf indes freier agieren. Was das genau für die Ausgestaltung der Grafischen Sammlung bedeutete, werden die kommenden Recherchen zeigen. Bereits jetzt geben die Einträge im Eingangsbuch jedoch Anlass zu Vermutungen: So scheint die Grafische Sammlung inhaltlich breiter angelegt gewesen zu sein als die Gemäldesammlung, vermutlich um Lücken zu schließen, die sich z. B. bei den Expressionisten oder Bauhauskünstlern auftaten. Zugleich zeigte sich Gabelentz aber auch geneigter, grafische Arbeiten von Künstlern anzukaufen, die er bei der Malerei ungeachtet realistischerer Preise nicht priorisierte. Dazu gehören z. B. Deutschrömer (in den Jahrzehnten um 1800 in Rom lebende Künstler aus Deutschland) und Symbolisten wie Hans Thoma, Otto Greiner und Franz von Stuck. Nicht zuletzt wurden auch zeitgenössische Künstler gesammelt, die – wie Conrad Felixmüller oder Otto Dix – zu den bekannten Lieblingen des Museumsdirektors gehörten oder aber auch, wie z. B. Hans Körnig, Neuentdeckungen zu sein scheinen.

Hans Körnig, Selbstbildnis, 1955, Foto: Lindenau-Museum Altenburg

Ausblick auf den Herbst

Erste Ergebnisse der Recherchen werden in der KUNSTWAND-Präsentation „An die Wand oder in den Giftschrank? Neuzugänge in die Grafische Sammlung von 1934 bis 1961“ vom 18. Oktober 2024 bis zum 14. Januar 2025 im Interim des Lindenau-Museums in der Kunstgasse 1 zu sehen sein. Ergänzend dazu erscheint eine Publikation. Vorgestellt werden Objekte, die exemplarisch für die Genese der Grafischen Sammlung in ihren Anfangsjahren stehen.

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