Ur- und Frühgeschichte in der Kunstbibliothek
In der Kunstbibliothek des Lindenau-Museums Altenburg finden sich auch vereinzelte Bezüge zur Vor- und Frühgeschichte, obwohl Bernhard von Lindenau mit seinen Sammlungen die klassische, die griechische Antike abbilden wollte. Das Standardwerk der Altertumskunde vor Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der 15-bändige Montfaucon, war zwar bereits zu Lindenaus Zeit veraltet, doch wegen seiner reichhaltigen Abbildungen immer noch ein Muss in jeder Kunstbibliothek. Neben einer Ansicht von Stonehenge gibt der französische Benediktiner Mönch Bernard de Montfaucon (1655–1741) eine Reproduktionsgraphik nach den Antiquitates selectae septentrionales des Johann Georg Keyßler (1693–1743), Pionier der deutschen Geschichtsforschung. Sie zeigt das Großsteingrab von Albersdorf in Schleswig-Holstein (Abb. 1). Keyßler hatte es noch für einen Opferaltar gehalten. Doch handelt es sich um die steingeschützte Kammer von Gräbern, die im Volksmund auch als Hünengräber oder Hünenbetten bekannt waren. Beim dargestellten Grab ist der bretonische Begriff des Dolmen – heute der Fachausdruck für Großsteingräber – leicht verständlich. Er bedeutet übersetzt Steintisch. Ursprünglich waren solche vor allem im Mittelneolithikum errichtete Grabbauten aber unter einem Erdhügel verborgen. Bei der Megalithik handelt es sich um ein gesamteuropäisches Phänomen des Neolithikums und der Frühen Bronzezeit (5500–2000 v. Chr.). Von solch gewaltigen Findlingen gebildete Grabkammern gibt es in Mitteldeutschland allerdings nur im nördlichen Sachsen-Anhalt. In der Romantik avancierte das Großsteingrab zu einem nationalen Symbol deutscher Vorzeit.
Ebenfalls in die Vorgeschichte entführt in Lindenaus Kunstbibliothek der Titel The ancient architecture of England aus der Hand des englischen Architekten John Carter (1748–1817). Hier wurden als Architekturen aus britischer Vorzeit die berühmten Steinkreise aufgenommen, mit dem prominentesten Beispiel Stonehenge.
»All authors agree in supposing, that the earliest monumental memorials and structures erected by the inhabitants of this island, are those we at this day have still before us. […] Vain have been the attempts to prove the real purposes for which these piles of stones were originally raised […]; in all likelihood, doubt and uncertainty will ever attend such investigations.«
(John Carter, The ancient architecture of England, London 1937)
Heute wissen wir, dass der mächtige Steinkreis von Stonehenge in der Grafschaft Wiltshire in Südwestengland ein gigantisches Sonnenobservatorium war. Mit ihm ließen sich fixe Daten im Jahreslauf, wie z. B. die Sommersonnenwende, ablesen.
Darüber hinaus war Stonehenge in eine Landschaft mit Erdwällen, Palisaden und Grabhügeln eingebettet, in der religiöse Handlungen und Prozessionen stattgefunden haben dürften. Ähnliche, ja sogar ältere Anlagen finden sich auch in Mitteldeutschland.
In der Zeit vor der wissenschaftlichen Beschäftigung waren die megalithischen Monumente von Sagen umwoben. Der Mönch Geoffrey von Monmouth (um 1100 – um 1154) erwähnt vor 900 Jahren in seiner Geschichte Britanniens, dass der Legende nach der Zauberer Merlin riesige Steinblöcke (Giant’s Dance genannt) in Irland stahl und sie in England als Stonehenge wieder aufbaute. Noch heute ist fast unvorstellbar, wie vor tausenden von Jahren die Menschen bis zu 4 Meter hohe Steine bewegten, die so schwer wie ein LKW sind. Erklärlich war dies im Mittelalter nur durch Zauberei. So manche Sage beruht auf einem wahren Kern und die Archäologie hat tatsächlich herausgefunden, dass einige Steine von Stonehenge viele Hunderte Kilometer entfernt herstammen, aus Wales. Vielleicht erzählt die Sage von Stonehenge und Merlin daher eine uralte Geschichte, die sich vor 5000 Jahren in der Tat zugetragen hat, wenn auch ohne Zauber, dafür mit Muskelkraft.
Galt Stonehenge im Mittelalter noch als Werk des Zauberers Merlin, konnten bereits die frühen Forscher des Humanismus die Spuren ausgeklügelter Handwerkstechniken erkennen. So wurden die Decksteine mittels Verzapfungen mit den Tragsteinen verbunden. Auf diesen technischen Aspekt legen Carters Ansichten von Stonehenge besonders wert (Abb. 2).
Die beiden hier besprochenen Bände aus Lindenaus Kunstbibliothek sind derzeit in der Sonderausstellung Aus dem Dunkel der Vorzeit. Altenburgs prähistorische Sammlung in neuem Licht im Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg zu sehen.
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