Von Korkkopien und Miniaturmodellen

Panem et Circenses im Lindenau-Museum

Neben seinem weltberühmten Bestand von 180 frühen italienischen Tafelbildern, zahlreichen Antiken und Gipsabgüssen beherbergt das Lindenau-Museum Altenburg einen weiteren historischen Sammlungsteil italienischer Herkunft, den man aufgrund seiner Objektgröße nicht unterschätzen darf: 15 Korkmodelle zeigen antike Bauwerke detailgetreu im Kleinformat. Das wohl eindrucksvollste dieser Miniaturmeisterwerke ist die Nachbildung des Kolosseums, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Luigi Carotti in Rom angefertigt wurde.

Das Korkmodell des Kolosseums von Luigi Carotti. Foto: PUNCTUM/Bertram Kober, Leipzig

Doch von Anfang an: Der Ursprung der Korkschnitzerei (Phelloplastik) ist in der italienischen Weihnachtskrippenplastik des 16. Jahrhunderts zu verorten. 200 Jahre später entwickelte sich daraus ein eigenständiges Kunsthandwerk, da immer mehr wohlhabende und gebildete europäische Reisende, die sich für das klassische Altertum begeisterten, Italien und insbesondere Rom besuchten und somit die Nachfrage nach Antiken und Souvenirs stieg. Das Angebot der Modelle entsprach daher ganz dem Geschmack dieses Publikums und umfasste verschiedene Tempel, Theater, Triumphbögen, Grabarchitektur und infrastrukturelle Bauten (z. B. Aquädukte). Aufgrund seiner porösen Erscheinung, seiner Farbe und leichten Verarbeitung war Kork ein beliebtes Material, um den prachtvollen, aber auch vergänglichen Charakter antiker Bauwerke einzufangen.

Bernard August von Lindenau war allerdings nicht nur auf der Suche nach einem schönen Souvenir. Er hatte die Absicht, die Modelle auf pädagogische Weise als Ersatz für architektonische Studien in situ zu nutzen und „[…] eine Anschauung der Bauweise der Griechen und Römer zu eröffnen, […]”.[1] Während seiner Reise nach Italien 1843 trat er mit dem Klassischen Archäologen und Sekretär des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom Emil Braun in Kontakt. Zwischen 1845 und 1850 bestellte Braun für Lindenau Korkmodelle bei dem römischen Phelloplastiker Luigi Carotti. Dieser schuf für Lindenau Modelle des Kolosseums (amphitheatrum flavium), des Tempels des Mars Ultor und dreier griechischer Tempel in Paestum. Außerdem wurde der Tempel des Antoninus Pius und der Faustina, der sich als Dauerleihgabe im Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg befindet, vermutlich von ihm gefertigt.

Das Kolosseum

Das imposante Modell des Kolosseums wurde 1845 von Emil Braun bei Luigi Carotti für den vereinbarten Preis von 50 Scudi in Auftrag gegeben. Doch kurze Zeit nachdem Carotti die Arbeit am Modell aufgenommen hatte, herrschte weit und breit Korkmangel, sodass sich die Fertigstellung des Amphitheaters verzögerte. Braun gelang es jedoch 1847 das dringend benötigte Material aufzutreiben und Carotti zu überzeugen, die mühselige Arbeit am Modell zu vollenden, nachdem dieser den Auftrag bereits zurückweisen wollte. In seinem Brief an Lindenau vom 30.11.1847 heißt es:

Endlich ist auch das Colosseum in voller Arbeit. Ich habe viele Noth darum gehabt. Zuletzt wollte der Verfertiger nicht mehr Contract halten und die Arbeit ganz zurückweisen. Einige Scudi für den Kork habe ich zulegen müssen. Ich werde sie Ew. Exc. an etwas anderem zu ersparen suchen.

Das fertige Minitatur-Kolosseum kam schließlich im Jahr 1850 am Pohlhof, dem Wohnsitz Lindenaus und Ort des ersten Museumsgebäudes, an. Es hat eine Höhe von 32,5 cm, eine Längsachse von 100 cm und eine Querachse von 72 cm. Es zeigt das Gebäude demnach in einem Maßstab von 1:185, weicht allerdings leicht von den Proportionen des weniger länglichen Originals ab. Der Innenraum weist zwei gleichgroße Sitzränge auf, ansonsten verzichtete Carotti bei seiner Gestaltung auf eine Rekonstruktion der Innenausstattung. Dennoch fasziniert das Korkmodell seine Betrachter durch die virtuose Nachbildung des Architekturdekors, die sich beispielsweise in den übereinander liegenden Halbsäulen der tuskischen, ionischen und korinthischen Ordnung an der Außenfassade widerspiegelt. Dank der Restaurierung durch Dieter Cöllen im Jahr 2017 befindet sich das Modell heute wieder in einem ausgezeichneten Zustand.

Die Korkmodelle im Lindenau-Museum Altenburg

Neben den Modellen von Carotti besitzt das Lindenau-Museum fünf Miniaturbauwerke des ersten deutschen Korkschnitzers Carl May (1747–1822), die um 1800 in Erfurt oder Aschaffenburg gefertigt wurden und auf unbekanntem Wege nach Italien gelangten, wo Braun sie schließlich für Lindenau erwarb. Diese stellen die Cestiuspyramide, die Grotte der Egeria, die Portikus der Octavia, den runden „Hustentempel” (Tempio della Tosse) und den Tempel der Minerva Medica dar. Drei weitere Modelle der Maxentiusbasilika, des Pantheons und des aus Tuffstein bestehenden Drususbogens ließ Braun in Rom von unbekannten Herstellern anfertigen. In Neapel erwarb er zudem zwei sizilianische Tempel eines gleichfalls unbekannten Korkschnitzers für Lindenau: den Tempel in Segesta und den sogenannten Concordia-Tempel in Agrigent.

Detail. Foto: PUNCTUM/Bertram Kober, Leipzig

Abgesehen von Luigi Carotti und Carl May sind der berühmte Phelloplastiker Antonio Chichi (1743–1816), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenfalls ein Korkmodell des Kolosseums anfertigte, das sich heute im Besitz der Museumslandschaft Hessen Kassel befindet, Augusto Rosa (1738–1784) und Giovanni Altieri (belegt 1767–1790) zu nennen. Antonio Chichis Werke sind nicht nur in Kassel, sondern auch in der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zu bestaunen. Weitere herausragende Korkmodellsammlungen finden sich im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg und im Schloss Ludwigslust bei Schwerin.

Heute ist das Korkmodell des Kolosseums eines der am häufigsten verliehenen Exponate des Lindenau-Museums. Nach verschiedenen Stationen innerhalb Deutschlands und der Schweiz kann es derzeit in der Sonderausstellung „ROMA! Gravures de la collection Clemens Krause” des Musée d’Art et d’Histoire in Fribourg besichtigt werden.

[1] J. G. von Quandt, H. W. Schulz, Beschreibung der im neuen Mittelgebäude des Pohlhofs befindlichen Kunst-Gegenstände, Altenburg 1848.

Victoria Kubale

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